Zurück in Bishkek/Kirgistan – Rückblick und Ausblick

Unglaublich, wie schnell die Zeit vergangen ist. Es kommt uns wie gestern vor, dass wir vor knapp einem Jahr am 19. Juni 2022 auf heißen Kohlen saßen, weil das Taxi zum Flughafen 20 Minuten zu spät kam. Die Fahrt zum Flughafen dauerte eine knappe Stunde und kostete umgerechnet 8 Euro.

Am Abend zuvor ging das große Wiegen und Messen los. Wir hatten doch einiges Zeug, was wieder mit nach Hamburg musste. Besonders schwer waren Claudius´ zwei Zylinderköpfe, die die Ursache des übermäßigen Öldursts waren und nun in Hamburg überholt werden mussten. Auch Philips Anlasser ist kein Leichtgewicht. Jeder von uns durfte 30 Kilo Aufgabegepäck mitnehmen. Wir wollten etwas schummeln und haben die Zylinderköpfe ins Handgepäck getan. Auch waren wir der Meinung, dass diese Motorteile die Reise so besser überstehen würden. Das fanden die uniformierten Jungs und Mädels beim einchecken nicht wirklich gelungen und wir mussten umpacken. Die Schlange hinter uns am Check-In war begeistert – ÄTZEND. Also mussten die beiden Schwergewichte auch noch in die ohnehin schweren Koffer. Aber mit 57,5 kg haben wir dann doch noch knapp den Allerwertesten über die Latte „gewuchtet“ bekommen!

Nach den Sommerferien ging dann schon die Planung für Etappe 2 los. Die ursprüngliche Planung war, von Bishkek über Tadschikistan und Afghanistan zu fliegen, weil die politischen Verhältnisse eine Fahrt über Land nicht erlaubten. Wir wären dann im Norden Pakistans, wohl in Gilgit, angekommen und über die Wagah-Boarder (Einziger Grenzübergang, den man mit eigenen Fahrzeugen passieren kann, zwischen den rivalisierenden Ländern) nach Indien gereist. Um für Pakistan Kontakte zu machen, nahm Claudius in der Handelskammer Hamburg am Round-Table-Pakistan teil. 

Hierüber bekamen wir tolle Kontakte zu pakistanischen Geschäftsleuten, deutschen Geschäftsleuten, die mit Pakistan Handel trieben, dem Botschafter von Pakistan in Berlin und dem Vorsitzenden des deutschen-pakistanische Vereins. Man eröffnete uns, es würde ein Fest werden, wenn wir durch Pakistan reisen. Ein Kamerateam sollte uns sogar interviewen. Aber es kam alles anders. Die innenpolitische Lage in Pakistan hat sich zum Jahreswechsel 2022/2023 stark verändert und auch das Auswärtige Amt hat eine Teilreisewarnung für das Land herausgegeben. Durch ein Land mit Ausschreitungen, Unruhen und Anschlägen soll man besser nicht Reisen.

Das kam für uns einer Katastrophe gleich. So unendlich viel Zeit war bereits in die Planung der Route durch Pakistan und Indien geflossen. Weiter sollte die Route durch Nepal gehen. In der Hauptstadt Nepals, Kathmandu, wollten wir die Motorräder in Kisten verpacken und mit ihnen zusammen über Myanmar hinweg nach Thailand fliegen. In Chiang Mai (Thailand) haben wir über einen Bekannten von unserem Motorrad Freund Jürgen Grieschat ein neues Winterlager und damit guten Zielpunkt für Etappe 2 gefunden. Carsten ist dort mit einer thailändischen Frau verheiratet und betreibt ein kleines Gästehaus mit Pool inmitten von Reisfeldern. Wenn man die Fotos sieht, könnte man fast heulen, so schön ist es!

Wenn also Pakistan keine Option mehr ist, müssen wir wohl direkt nach Indien. Aber wie kommen wir und insbesondere unsere Motorräder bloß von Kirgistan nach Indien? Eine Spedition haben wir vergeblich gesucht. Lange Zeit und viele Recherchen später gelingt Philip der Durchbruch. Eine Werkstatt in Bishkek, zu der wir neue Reifen bestellt haben, stellt den Kontakt zu Krystof her. Er lebt in Polen und spricht deutsch, englisch und wer weiß was noch. Er ist ein Vollblutabenteurer und macht gewerbliche Motorradtouren. Ab dem 12. September wird er von Bishkek mit einer Gruppe polnischer Motorradfahrer durch China nach Nepal fahren. Wir dürfen uns dranhängen und er macht den ganzen Papierkram. Dieser ist in China erdrückend viel und die eigentliche Herausforderung. Aber wenn man das schon sechs mal hinter sich hat, ist es natürlich leichter. Neben dem Papierkram haben wir gesunden Respekt vor der Strecke. Das Beste daran ist, dass es sich 14 Tage fast nur um Asphalt handeln wird. Jetzt fragt Ihr euch, ob wir uns denn einer Gehirnwäsche unterzogen haben!? Asphalt?? Nein, aber die Straße durch China, namens National Highway G 219, verläuft über 14 Tage in einer Höhe von selten unter 4000m und einer Spitze von 5300 m. Das raubt es einem schon den Atem beim schlichten Gedanken daran.

Auf der anderen Seite läuft uns das Wasser im Munde zusammen, wenn man den Himalaya auf so einer spektakulären Straße durchqueren darf. Mount Kailash und das Mount Everest Basecamp stehen mit auf der Reiseroute. Wir schlagen also ein!! Da wir eine Woche vorher anreisen, werden wir uns auf Sambors (Spitzname von Krystof) Rat schnell auf über 3000 m begeben, um die Aklimatisierung der uns bevorstehenden Höhenreise durch den Himalaja voranzutreiben.

Etappe 2

Die zweite Etappe ist für die Zeit ab vom 2. September 2023 bis Mitte Oktober 2023 geplant. Zur Vorbereitung fliegen wir am 16. April 2023 nach Bishkek. Unsere Schlachtrösser haben die erste Etappe zwar größten Teils durchgehalten, aber so manche Blessur muss vor dem Start der 2. Etappe behandelt werden. Die Zylinderköpfe und ein Anlasser sind genauso im Gepäck, wie Faltenbälge, Gaszüge, Kupplungszüge, Filter, Dichtungen und 10 l mineralisches Öl. Auch diesmal war die magische 60 kg-Marke das Maß aller Dinge. Claudius gewinnt am Flughfen den Preis für den Koffer, der näher am Maximalgewicht liegt: 29,4 KG. Wer kann, der kann.

Unser Flug ging um 18:45 Uhr vom Hamburger Airport. Wir witzelten noch ausgiebig über einen Fluggast, der (optisch) aus einem flotten Vierer seiner Mutter mit Udo Lindenberg, Claude Oliver Rudolph und dem jungen Wolfgang Petry hervorgegangen sein muss .

Die 2 Stunden Aufenthalt in Istanbul auf dem Mega-Airport waren mit zwei großen Bieren für stattliche 24 € gut zu ertragen.

Als wir uns dann endlich um 1:45 Uhr in der Nacht mit dicken Augen in den Anschlussflieger nach Bishkek setzen, klärte Claudius den Sitznachbarn auf, dass Philipp etwas aufgeregt ist, weil dies sein erster Flug sei. Der junge Türke, der weder englisch noch türkisch zu sprechen schien, eröffnete uns, dass auch er heute das erste Mal fliegen würde. Kein Witz! Obwohl uns das Gelächter innerlich fast zerriss, haben wir ihn nicht aufgeklärt. Wir wollten ja nicht, dass er sich veräppelt vorkommt. Stattdessen haben wir die Kommunikation mit den Stewardessen stets für ihn übersetzt und ihm bei seinem Weiterflug und dem Studium der Bordkarte geholfen. Basisarbeit!

17. April 2023 – Ankunft in Bishkek

Zehn Monate nach unserer Abreise aus Bishkek hat die Inflation den Taxipreis auf 10 Euro katapultiert…und nochmal: Für 1 Stunde Fahrt!

Erstmal fühlen wir uns wie Falschgeld – in unserer Erinnerung sind wir in dieser Kultur total aufgegangen und plötzlich stehen wir hier in Chinos und Claudius ohne Vollbart. Wir gehören irgendwie nicht mehr dazu!

Vom Flughafen fahren wir zuerst in unser Apartment und dann direkt zur der Brauerei, wo unsere Motorräder völlig eingestaubt, aber sicher, in einem Container die Zeit ohne uns hier verbracht hatten.

Und dann stehen wir schon wieder mitten im zentralasiatischem Irrsinn, also unserem eigentlichen Element. WIR SIND WIEDER ZURÜCK in unserem so lieb gewonnenen Film: Um die Motorräder, die aktuell nicht Fahrbereit sind zur Werkstatt zu bringen, organisiert diese uns einen Transporter. Die Karre verfügt aber weder über Zurrgurte noch über irgendwelche Befestigungspunkte für solche. Wie soll man bitte zwei mehr als 200 kg schwere Motorräder auf der Ladefläche sichern? Also schicken wir das Ding wieder weg und man verspricht uns ein neues Fahrzeug zu schicken. Anderes Fahrzeug – gleiche (Fehl-)Ausstattung! Also improvisieren wir. Es gibt keine Rampe? Kein Problem, ein Kantholz mit 10 × 10 cm tut es ja auch. Das ist wie turnen auf dem Schwebebalken, nur Bergauf, und mit einem Motorrad…

Aber da wir seit Stunden nichts getrunken hatten, noch nichtmal Wasser, waren wir nüchtern und blieben spurtreu und die Motorräder kamen heil oben an. Weil wir ja auch hier keine Zurrgurte befestigen konnten, entschlossen wir uns einfach auf den ungesicherten Motorräder sitzend und mit angezogenen Bremsen einfach alles auszubalancieren und uns an der Bordwand und gegenseitig abzustützen. Fahrzeugtransport im Kirgisen-Style.

Nach gut 20 Minuten Fahrt waren wir echt froh (heil) anzukommen. Der Fahrer hielt uns wohl auch für etwas durchgeknallt. Während der Fahrt machte er durch das Fenster zum Laderaum mit dem Handy Fotos von uns.

Die Werkstatt, die Philip auf Empfehlung gefunden hatte, entpuppte sich als klein, aber perfekt für unser Vorhaben. „Iron Horse Nomads“ wird geführt durch eine junge Frau namens „Janil“, die perfekt englisch spricht. Der Inhaber „Ryan“ ist ein rothaariger Bär von einem Mann. Er ist in South Carolina aufgewachsen und spricht entsprechendes American Englisch mit einer heißen Kartoffel im Mund. Dass er überhaupt zu verstehen ist, liegt wahrscheinlich daran, dass seine Großeltern Deutsche waren 🙂

Philip erzählt den beiden und ihrem Mechaniker über 1 Stunde ausgiebig, wie er sich das alles vorstellt und was an den Motorräder gemacht werden soll. Erst danach dürfen Verständnisfragen für 2 Minuten gestellt werden.

Parallel zu Philip wird ein 21 Jahre junger Kirgise an den Motorrädern schrauben. Sein Name ist „Islam“.

Nach einem Nachtflug und der aufregenden Verbringung der Motorräder in die Werkstatt sind wir völlig gerädert und fahren am späten Nachmittag zurück in unser Apartment, kaufen noch etwas ein und essen das erste Mal an diesem Tag etwas Warmes. Claudius graut es schon vor den nächsten Tagen, wenn das schon am ersten Tag wieder so ist – und bisher haben wir ja nur vom Schrauben gesprochen aber noch garnichts bewegt!

Islam scheint aber insgeheim Philips Herz erweicht zu haben. Er scheint ihm zu vertrauen. Denn er darf alleine das Gabelöl und die Gabel-Simmerringe an Philips Maschine tauschen.

Vier Burger, ein Supermarkt und ein Geldautomat später fallen wir müde in die Betten.

18. April 2023

Wir stehen völlig unausgeschlafen mit Jetlag aber hochmotiviert um 7:00 Uhr auf, machen ein paar geschäftliche Mails und gehen frühstücken. Direkt um die Ecke haben wir ein Restaurant entdeckt, das unglaublich leckeres Essen anbietet. Bei uns hätte man das früher bei FIT FOR FUN serviert bekommen.

Die Laune rutschte Philip in der Werkstatt gleich in die Hose. Er stellte fest, dass eine Ventildeckeldichtung fehlt. Gutes Zureden hilft nur wenig, man kann sich ja so herrlich über sich selbst ärgern! 🙂 Aber unser neuer Freund Islam, dem das Improvisieren in die Wiege gelegt wurde, meinte, er könnte die Dichtung aus Dichtungsmaterial selbst nachschneiden – die Situation entspannt sich!

Die beiden Chefmechaniker Philip und Islam schrauben parallel – Islam am Motorrad von Philip und Philip am Motorrad von Claudius. Claudius hält dabei verantwortungsvoll wie gekonnt die Lampe.

Aber auch der Lehrling hat sein Erfolgserlebnis: Fast ohne Hilfe montiert er tatsächlich selbst einen Spiegel und ersetzt einen gerissenen Haltegurt für seinen Tankrucksack. Als Claudius dann auch noch zwei Kennzeichen abbaute, gehört er endlich fast dazu. Wir haben nämlich neue Kennzeichen ohne Siegel und die Aufkleber für TÜV dabei. Denn wenn die Aufkleber abgelaufen sind, gibt es an den Grenzen dieser Welt oftmals blöde Fragen, weil es den Anschein erweckt, die Zulassung sei abgelaufen. TÜV kenn man in diesen Ländern eh nicht. Ist kein Aufkleber drauf, fällt das einem ausländischen Zöllner nicht auf und es gibt keine bohrenden Fragen (Trick 17 im Handbuch für Weltreisende).
Draußen sind es 4 °C und später 7 °C, drinnen ist es (gefühlt) nicht viel wärmer. Von den Damen aus dem Büro bekommen wir Kaffee und im Kiosk nebenan gibt es Grundnahrungsmittel wie Snickers, Fanta und Wasser. Islams Chef schlägt ein Snickers aus, weil gerade Ramadan ist und von Sonnenaufgang bis -untergang nicht gegessen und getrunken wird. Islam schert sich trotz seines Namens nicht darum.

In der Halle steht übrigens auch eine BMW X Challenge aus München. Ihre Hauptuntersuchung (HU) ist bereits im Februar 2020 abgelaufen 🙂

Mittags teilen wir uns eine Pizza, die aufrecht im Rucksack geliefert wurde und nun die Form eines Halbmonds mit Ziehharmonikastruktur hatte – aber ganz lecker war sie trotzdem!

Heute wird Philips Maschine fast fertig sein. Bei Claudius gibt es jedoch Probleme mit dem Kardan. Das Kreuzgelenk ist in eine der beiden Richtungen nicht mehr frei gängig, der Fachmann sagt „eingefroren“. Federt das Motorrad unterwegs mal tief ein, kann dann der Kadern reißen oder das Getriebe ruinieren. In Deutschland ist dieses Ersatzteil eigentlich gut zu bekommen. Kann man es hier vielleicht reparieren? Die reparieren hier schließlich alles! Die Jungs aus der Werkstatt machen sich schlau und Islam will sich am nächsten Tag gleich mit seinem Motorrad auf den Weg zu einer Werkstatt machen. Außerdem fehlt immer noch die eine Ventildeckeldichtung. Eine Probefahrt wird es sicherlich für Claudius Gummikuh in dieser Woche nicht mehr geben, das muss auf September verschoben werden. Wir glauben eher nicht daran, dass die Kardanwelle hier in Stand gesetzt werden kann. Auch Rücksprache mit unserer Fachwerstatt zu Hause bestätigt, dass es eher unwahrscheinlich ist, das Kreuzgeleng vor Ort reparieren zu können.

Urlaub ist das hier ganz sicherlich nicht. Erstmal stehen wir immer um 7:00 Uhr auf, Philip kniet die ganze Zeit, und Claudius schlägt die Zeit tot, bis ihm die Fäuste bluten. Das klang gerade so schön, ist aber auch nicht die Wahrheit. Claudius sucht sich halt das, was er tun kann. Mal hier halten, mal da halten, aufräumen, Sachen mit dem Werkstattbesitzer klären, für Verpflegung sorgen und parallel geschäftliche Sachen klären. Außerdem operiert er, wie gesagt, immer häufiger mit. Das Geschäft lässt uns beide Gott sei Dank halbwegs in Ruhe. Um 19:00 Uhr sind wir wieder im Apartment. Hier haben wir noch Korrespondenz für die Zollagentin zu erledigen. Analog zum Arbeitspensum fällt auch die Mischung für den Reanimationskaffee aus:

Nachdem alle geschäftlichen und die Reise betreffenden E-Mails abgearbeitet sind, gehen wir in unser neues Stamm-Restaurant zum Abendessen. Tatsächlich essen wir beide diesmal sehr gesund. Salat steht auf dem Programm. Auf dem Weg zum Restaurant werden wir von jungen Leuten angesprochen, die unbedingt mit uns ein Foto machen wollen. Dass wir uns nicht einfach passiv daneben stellen konnten, dürfte allen klar sein. Es hatte vielleicht etwas vom Schlußbild bei Holiday on Ice.

19. April. 2023

Unser Vermieter erscheint wie vereinbart um 8:00 Uhr zur Geldübergabe. Auch das erleben wir hier ja das zweite Mal: Wir buchen ein Apartment und der Vermieter ist entspannt und kommt erst nach 2-3 Tagen, um den Mietpreis zu kassieren. Dann geht es zum Frühstück in unser Stammlokal.

Claudius hatte noch was vergessen und wollte zurück ins Apartment. Er scheiterte jedoch am großen Tor. Der alte Öffnungscode funktionierte nicht mehr. Shit! Also klopfte Claudius höflich an die Tür des kleinen Glashäuschens, in dem ein Pförtner saß. Er deutete, Claudius solle die Tür öffnen. Als er das tat, bereute er es sofort: In dem knapp 2 m² großen Häuschen herrschte ein Gestank wie im Flamingo-Puff bei Hagenbecks Tierpark. Die Temperatur war Dank eines Heizlüfters deutlich über 35°. Der sicherlich 80 Jahre alte Pförtner grinste verständlicherweise wie weich gekocht. Einen guten Schritt zurück getreten ins Freie fuchtelte Claudius mit den Armen, um ihm zu verstehen zugeben, dass der Code nicht mehr funktioniert. Aber trotz aller Gestik verstand ihn der alte Mann nicht und zuckte mit den Schultern und antwortete ausführlich auf Russisch oder Kirgisisch. Dann stand er auf und kam zur Tür, holte bedeutungsvoll Luft und sagte: „ Say it in English!” Gott sei Dank konnte er Claudius Gedanken nicht lesen! Aber dafür bekam Claudius den neuen Code und kam in den Hof. Er macht sich auf den Weg zum Appartment – aber im 5. Stock angekommen sah es irgendwie anders aus… die Luft in der Pförtnerbude hatte Claudius wohl so vernebelt, dass er in den falschen Hauseingang gelaufen war….

Nach dem Frühstück bestellt uns das Restaurant ein Taxi. Der Honda hatte über 415.000 km auf dem Tacho und es roch darin entsprechen nicht mehr nach Neuwagen. Wie bei allen Taxis hier war auch in diesem Auto die Frontscheibe gerissen. Wir vermuten, dass nach bestandener Taxifahrerprüfung der Ritterschlag nicht auf die Schulter des Fahrers, sondern auf die Windschutzscheibe ausgeführt wird!? Wir haben wirklich nicht ein einziges Taxi gesehen, bei dem es keinen Riss in der Windschutzscheibe gab!

Oh nein…. Philips Motorrad war fast fertig zusammengebaut. Da stellte Islam fest, dass der Kupplungshebel ohne Wirkung ist. Philip hatte Islam die beim Einbau der Kupplung das ganze angereicht und dabei Kupplungsfeder falsch herum gegeben. Islam hat sie dann brav so eingebaut. Alles muss wieder raus: Schwinge, Getriebe – Komplettzerlegung! Islam hatte wohl Schiss, dass er jetzt einen über die Rübe bekommt. Aber Philip übernahm sofort die Verantwortung und die Erleichterung war Islam anzusehen.

Dann musste auch bei Claudius nochmal alles raus. Also auch das Getriebe und Kupplung, weil die Schwungscheibe am Motor falsch eingebaut war. Eine Markierung an der Schwungscheibe muss in einem Sichtfenster zu sehen sein, damit man Zündung und Ventilspiel richtig einstellen kann. Erst dann können wir „abblitzen“. Die Schwungscheibe war aber schon die ganze Zeit bei Claudius falsch drin, jetzt war aber der richtige Moment es zu korrigieren. Zum Glück war aber bei Claudius die Schwinge eh noch nicht wieder eingebaut wegen der Kardanwelle, das ersparte eine Menge Arbeit. Tatsächlich ist Claudius nun auch immer öfter mit ins Schrauben eingebunden. Der Junge soll ja auch mal was lernen.

Um 14:30 Uhr fahren wir ins Apartment, weil ab 15:00 Uhr irgendwann der Termin mit der Zollagentin beim Notar stattfinden soll. Sie benötigt eine notarielle Vollmacht, um die eine Verlängerung der zollfreien Standzeit in Kirgistan bis September durchzuführen. Wir packen also unsere Fahrzeugscheine, Pässe und Geld für die Gebühren ein und fahren schnell mit dem Taxi zu dem Büro des Geschäftsmannes, bei dem wir die Motorräder untergestellt hatten. Sein Fahrer bringt uns und seine Sekretärin, die hervorragend dolmetsche, zum Notar. Kurze Zeit später musste der Fahrer nochmal zurück zum Büro und den Pass der Sekretärin holen. Weiß der Teufel warum, aber auch unsere Begleitung und die Zollagentin mussten sich ausweisen, ohne dass sie direkt an diesem Verwaltungsakt beteiligt waren.

Abends treffen wir uns mit Alex (der Sohn unseres Motorrad-Unterkunfts-Sponsors). Er hat zwei Bars in Bishkek, in der einen (PIVO Bar) sind wir verabredet. Wir verstehen uns prächtig und verbringen herrliche Stunden und trinken reichlich Bier, das er in seiner eigenen Brauerei braut.

Vielleicht will er uns sogar mal in Hamburg besuchen. Plötzlich spricht uns eine Frau von der Seite an. Sie hatte uns erkannt. Wir hatten uns in dem Yurtencamp am Sonkul-See auf 3200 m im letzten Jahr kennengelernt. Kunststück, dort gab es ja nur fünf Gäste. Und dann ein Jahr später in Bishkek – was für ein Zufall, das gibt es doch gar nicht!!

20. April 2023

Wir sind morgens etwas später dran und sparen uns deshalb das Frühstück. Wir fahren direkt zur Werkstatt. Zu unserer großen Überraschung liegt dort eine fachlich wirklich gut reparierte Kadernwelle. Von den kosten weniger als 1/4 eines Neuteils in Deutschland.

Leider hat Philip seine Schlüssel für sein Motorrad zu Hause vergessen. Deshalb fährt Claudius mit dem Taxi kurz zum Apartment. 20 Minuten hin, 20 Minuten zurück. Auf der Fahrt durch die Stadt fiel Claudius ein Motorrad auf. Der Fahrer trug einen Helm und hatte hinter sich auf der Sitzbank zwei kleine Mädchen im Alter von circa fünf Jahren sitzen – beide ohne Helm! Da rutscht einem Vater das Herz in die Hose, am liebsten hätte Claudius ihm den Marsch geblasen, da drehte er schon am Hahn und war weg.

Während Claudius noch über das bizarre Schauspiel nachdenkt, bremst das Taxi so abrupt, dass die offensichtlich nicht arritierte Rückenlehne der gesamten Rückbank seinen Oberkörper weit nach vorne drückt und er eine unfreiwillige Verbeugung macht, bei der er sich den Kopf fast am Beifahrersessel stößt. Das ist Taxifahren in Zentralasien pur!

Zurück in der Werkstatt starte Philip seine Maschine. Sie knattert wie in alten Tagen, geil!

Da uns der Besitzer der Werkstatt wirklich mehr als nur alles recht macht, haben wir vorher im Vertrauen auf die ortsüblichen niedrigen Preise nicht nach dem Stundenlohn gefragt. Aber Sparfuchs Claudius konnte am Ende doch nicht an sich halten. Die Antwort fiel mit 1000 kirgisischen SOM pro Stunde jedoch noch günstiger aus, als erwartet. Das sind umgerechnet nur etwa 10 Euro pro Stunde. Wir fühlen uns wirklich nicht über den Tisch gezogen. Später stellte sich auf vertrauliche Nachfrage raus, dass der Mechaniker gut zwei Euro pro Stunde verdient. Insofern stimmt sicherlich für den Werkstattbesitzer wieder mal die Rendite!

21. April 2023

Heute ist Feiertag in Kirgistan. Der Werkstattbesitzer schließt uns aber dennoch die Werkstatt auf und erledigt liegengebliebene Büroarbeit parallel.

Bis 14:00 Uhr erledigen wir in aller Ruhe die letzten Arbeiten an Claudius Maschine. Draußen ist herrliches Wetter bei 13° und Sonnenschein. Man hat einen super Blick auf das schneebedeckte Tian Chan Gebirge, dessen höchster Gipfel fast 5000 m hoch ist.

Schwer zu glauben, dass wir in China Straßen fahren werden, deren höchster Punkt noch 600 m höher liegt.

Um 14:00 Uhr fahren wir dann zufrieden zurück in die Innenstadt. Wir essen was und rauchen anschließend in einem Café endlich die erste Zigarre dieses Aufenthalts. Denn heute ist es warm genug, dass man draußen sitzen kann. Wir hatten, wie man sich vorstellen kann, deutlich mehr Zigarren eingeplant.. aber die werden nicht schlecht und dann in Hamburg geraucht.

Zum Abschluss ein kurzer Shoppingbummel, um die Zeit tot zu schlagen. Oben im Apartment arbeiten wir noch und stellen diesen Bericht fertig.

Um 0:00 Uhr in der Nacht soll unser Taxi kommen. Wir fliegen um 2:30 Uhr nach Istanbul. Unser Aufenthalt dort wird 1 Stunde 30 betragen. Nach gut 11 Stunden werden wir sicherlich völlig unausgeschlafen um 9:00 Uhr Ortszeit in Hamburg landen – die Freude auf die Nacht in den beiden Flugzeugen ist groß!

Noch 133 Tage bis zum Start von Etappe 2. Wir können es kaum abwarten….

Dieser Beitrag hat 9 Kommentare

  1. Johannes

    Hey wie cool ihr Lieben! Wir freuen uns sehr wieder von Euch zu lesen!!! Alles Gute und bis ganz bald! Johannes und Mareike

  2. Claus

    Gestern fiel mir Eure erste Tour ein und ich habe mich gefragt, wann es weitergeht. Perfektes Timing!

  3. Axel

    Mal wieder ein sehr lustiger Bericht, freue mich schon auf die Reiseberichterstattung Teil 2

  4. Alexandra

    DAS ist FREIHEIT!! Ich freue mich für euch!!

  5. Armin

    Habe die Zeilen aufgesogen.

  6. Addi

    Toll!!! Ihr seid verrückt, herrlich verrückt! Und es ist immer wieder schön zu lesen, wie in den abgelegeneren Winkeln dieser Welt die kleinen Dinge groß geschrieben werden. Gute Heimfahrt! Addi

  7. Lars

    Hallo Ihr Zwei, toller Bericht, weiter so!
    Habt ihr einen Chronisten auf dem Beifahrersitz mitgenommen, das ist so gut geschrieben.

    Philip, mir ist dein Rückruf durchgerutscht, sorry, aber ich denke an Euch!

    Was für ein Abenteuer.

  8. Kilian

    Hallo Ihr zwei!
    Ich beneide euch!
    Die Schwungscheibe hab übrigens nicht ich eingebaut… War ein Profi. Der hieß Achthose oder so ähnlich 🙂 Trotzdem kacke. Kardan funzt wieder? Und was war an den Köpfen? Die waren ja eigentlich auch recht frisch gemacht. Keine Qualität mehr heutzutage, tststs…
    Passt auf Euch auf und habt viel Spaß, bis bald, liebe Grüße,
    Kilian

  9. Claudia

    Passt auf Euch auf, Jungs, genießt Eure Freiheit stets mit der nötigen Portion Vorsicht und lasst uns weiter so ausführlich und humorvoll an Eurem mutigen Abenteuer teilhaben ?!

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