Tag 35
Es ist der 12. Juni und wir haben nur einen kurzen Schlag bis Karakol vor den Reifen. Vor der Abfahrt gehen wir noch in den „Speisesaal“ unseres postsowjetischen Erholungsheims. Auch dieser war in Einklang mit dem auf dem Gelände ansonsten eher vorherrschenden abgewarzten Zustandes. Das Frühstück bestand aus Fladenbrot, Aufschnitt und Kaffee. Dieser wurde einfach durch das Aufgiessen des Kaffeepulvers in der Tasse hergestellt. Dies merkte Claudius leider erst, als er sich mit Schwung den letzten Schluck in den Hals gegossen hatte… Das Besteck verdiente dann noch besondere Aufmerksamkeit. Wir losten aus, wer welche Farbe nehmen durfte.
Unser heutiges Ziel Karakol (so wie der ganze Issyk-Kul See) wird von zwei Gebirgsketten flankiert, die man aus der Stadt heraus fast immer sehen kann: Im Norden „Kungej-Alatau“ (direkt dahinter ist Kasachstan) und im Süden das Tian-Shan-Gebirge (dahinter ist schon China). An diesem Punkt sind wir tatsächlich keine 150 km mehr von China entfernt.
Zu unserer großen Überraschung steigen wir in einer nicht wirklich hübschen Stadt in einem fantastischen Hostel ab. Das „Matsunoki“ ist im wahrsten Sinne des Wortes wie geleckt. Es wird durch eine japanisch-kirgisische Familie betrieben und ist eine kleine Oase der Gastlichkeit inmitten einer Stadt mit spät-postsowjetischen Charme garniert mit Staub und Abgasen. Nebenbei ist das Thema Mülltrennng hier bis zum Excess optimiert.
Wir beziehen also unsere zwei Einzelzimmer im Erdgeschoss (danke-danke-danke mit all dem Gepäck!). Dann machen wir uns auch schon bald an unsere Berichte, bei denen es gelinde gesagt etwas Nachholbedarf gibt. Außerdem war für heute und auch die nächsten Tagen eher gemischtes Wetter und auch Regen angesagt. Bisher waren wir ja auf den Motorrädern (bis auf wenige Tropfen) vom Regen verschont geblieben. So auch heute. Erst am Nachmittag setzte Regen ein, als wir längst in Sicherheit waren.
Am Abend schlendern wir noch trockenen Fußes in den nahe gelegenen Basar. Auf dem Weg stellen wir fest, dass die Menschen hier optisch schon etwas stärker chinesisch „angehaucht“ sind. Sie haben auch eher die chinesische Zurückhaltung. In Usbekistan waren die Menschen offensiver und neugieriger was Kommunikation anbetrifft. Das heißt aber nicht, dass die Menschen hier weniger freundlich und hilfsbereit sind, sie kommen nur nicht so schnell aus der Reserve.
Wir essen in einem „Restaurant“, in dem es nur eine einzige Speise gibt. Es handelt sich hierbei um eine rote scharfe Reisnudelsuppe, die kalt gegessen wird. Das stellten wir zu unserer Verwunderung allerdings erst mit dem ersten Bissen fest. Dazu gibt es ein Fladenbrot mit Kartoffelfüllung, das vor Fett nur so trieft. Erst im Nachhinein haben wir verstanden, dass es sich bei diesem Gericht um das Nationalgericht der Uiguren handelt. Es heißt „Ashlyamfu“. Die Uiguren (bekannt aus den Nachrichten) sind Muslime. Mit ihrer Kultur passen Sie nicht in das Bild eines modernen China. Deshalb sind viele von Ihnen bereits vor langer Zeit schon nach Kirgistan ausgewandert und haben ihre Kultur mitgenommen.
Gegen 20:00 Uhr machen wir uns dann auf den Weg zum Abendessen. Es soll landestypische Burger geben :-).
Auf dem Weg hören wir schon von weitem Lautsprechergesänge. Neugierig nähern wir uns der Geräuschquelle und dann konkreter der Bühne, vor der etwa 200 Leute stehen. Oben singt ein Chor russische Volkslieder. Diese kraftvollen und gleichzeitig melancholischen, klagenden Gesänge gehen unter die Haut. Die Jungs sind wirklich gut! Zwei Lieder kennen wir sogar „Kalinka“ und „Casatschok“.
Wieder zurück im Hostel wollten wir eigentlich schnell ins Bett. Eigentlich. Im Hostel wurden wir aber in ein Gespräch mit drei Russen verwickelt. Die drei machten einen Kurzurlaub in Kirgistan und arbeiteten in Russland bei der Bahn. Vor ihnen standen ein paar (leere) Schnapsgläser. Ihr denkt und wir dachten sofort an Wodka. Das ist aber falsch. Diese Russen tranken…. Jägermeister! Jägermeister hat sich weltweit zu einem absoluten Kultgetränk etabliert. Wir kamen nicht drum herum noch 3 oder 4 Gäser dieses mit Tradition behafteten Getränkes in Gesellschaft zu uns zu nehmen, bevor wir uns aus der Affäre ziehen konnten. Danach schläft man aber auch gut und der Magen hat seine Medizin bekommen! Naja – je nach Menge natürlich.
Tag 36 (13. Juni 2022)
Wir frühstücken mit einem älteren englischen Ehepaar am gemeinsamen Tisch. Die beiden, bereits im Rentenalter, sind jedes Jahr mehrere Wochen unterwegs. Nach dem Frühstück verabschiedeten sich die beiden zu einer Tour in die Berge. Hierzu holte sie der Fahrer im Soldatenoutfit/Camouflage mit einem uralten russischen Bus im gleichem Tarnmuster ab. Zack, weg die beiden…sie wurden nie wieder gesehen! ….Quatsch!
Auch für heute war die Wettervorhersage für den Vormittag trocken und erst zum Nachmittag sollte es Regen geben. Also nicht lange trödeln. Beim Auschecken bot der Chef des Hostels uns noch an, für die Organisation unserer Etappe 2 in 2023 beim Grenzübertritt nach China behilflich zu sein. Auf einem kleinen Zettel schrieb er seine Kontaktdaten und auch die von einem guten Freund auf, der ein Reisebüro in Tadschikistan betreibt. Zudem malte er noch eine kleine Karte, wo die besten Grenzübergänge sind. Claudius musste dann noch seine Wäsche bezahlen (laundry service), die er dort hat reinigen lassen. Umgerechnet 3,50 € waren nicht überbezahlt für den Stapel! Claudius hatte natürlich ohne Absprache mit Philip das einfach geheim und alleine organisiert und Philip hatte seine Sachen in Unkenntnis über den verfügbaren Service mit „Rei in der Tube“ gewaschen. Naja zur Strafe rochen Claudius Sachen nicht so gewohnt sondern recht parfumiert…
Unser nächstes Ziel war ein 150 km entfertes Hotel-Resort am Nordufer des Issyk Kul-Sees. Dort waren wir mit Vladimir N. am kommenden Tag verabredet. Er ist in der Region ein erfolgreicher Geschäftsmann und hatte dort im Hotel geschäftliche Sachen zu erledigen. Durch ihn werden unsere Motorräder in Bischkek einen sicheren Unterschlupf haben.
Bis zu unserem Treffen hatten wir allerdings noch gut 24 Stunden Zeit, die wir mit diversen Rundgängen durch die Hotelanlage und an den Strand gut füllten. Immerhin waren wir hier noch auf gut 1.600 m Höhe und das Wetter wechselte von windstill zu stürmisch/regnerisch und von kalt zu heiß innerhalb weniger Stunden.
Auch das Restaurant haben wir ausgiebig konsultiert. Wie überall nach Corona und in der Vorsaison gibt es sowieso fast keine Gäste. Deshalb und aufgrund unserer kommunikativen Art waren wir bald bekannt wie bunte Hunde. Auch hier aß Claudius wieder neben einem köstlichen Rib-Eye-Steak anderentags gerne Ashlymfu.
Zu diesem Zeitpunkt hatten wir übrigens schon gut 6.800 km auf dem Tacho. Apropos Leistung: Wie Philip beim Frühstück zu berichten wusste, hatten seine Zimmernachbarn in der vergangenen Nacht auch eine beachtliche Leistung erbracht. Die Intensität in zeitlicher Länge und Lautstärke konnte Philip durch die relativ dünne Innenwand ausführlich miterleben/ertragen. Aber um 1:30 hatten die beiden Nachbarn dann auch „fertig“.
Besondere Freude machte uns auch ein Golfcar. Auf der Anlage werden sie von diversen Angestellten zu Transportzwecken genutzt. So verreckte eines dieser Gefährte, gelenkt durch eine Putzfrau, direkt vor unseren Augen. Die Steuerung hatte den Geist aufgegeben, die Räder gehorchten dem Lenkrad nicht mehr. Das störte die Putzfrau aber garnicht, sie lenkte einfach Minuten lang weiter. Man kann ja nie wissen, ob sich noch was tut!
Immerhin schob sie nach geraumer Zeit mit maximalem Aufwand das Ding vor eine freie Zufahrt. So stand es nur (!) noch 2 m im Weg. In diesem gehobenen Hotel-Resort werden erfahrungsgemäß sehr zeitnah Techniker das Golfcar abschleppen und irgendwo reparieren. Oder?
Es wurde schon bei jedem Spaziergang/Essensgang eine freudige Überraschung, dass das Golfcar immer noch so da stand. Erst nach knapp 48 Stunden wurden wir gnadenlos überrascht, als zwei Mechaniker direkt vor Ort dem Problem auf den Grund gingen. Passend zu unserer Abreise war das Luxusgefährt dann endlich auf eigenem Reifen verschwunden.
Tag 37 (14. Juni 2022)
Wir hatten uns für heute 8:30 Uhr als gute Zeit zum Frühstücken erdacht. Das Frühstück gab es im selben Restaurant, wie das Abendessen. Es war ein recht ordentliches, kontinentales Frühstück. Es wurden auch Omelettes nach Wunsch produziert. Also alles prima.
Da wir heute bis zum Abend keine wesentlichen Verpflichtungen hatten, waren wir stundenlang sehr fleißig und haben unsere Berichte verfasst, Briefmarke drauf und den Aufkleber für „E-Luftpost“ (erinnert Ihr Euch noch an die für Luftpost damals? Für Luftpost gab es ja auch besonders leichte, blau-rote Umschläge!) und in die weite Welt geschickt. Zwischendrin machten wir ein paar Kontrollgänge zum Strand und hatten Mittagessen in der Sonne. Natürlich gibt es in solchen Hotelanlagen auch einen Laden, der Wasserspielzeug verkauft. Dieses Exepmlar demonstriert auch die weltweit regionalen Unterschiede:
Herrlich war auch die Episode in dem kleinen Supermarkt auf dem Hotelgelände: Wir schlendern an den beiden Kassiererinnen vorbei in den Supermarkt, laufen ein paar Minuten zwischen den Regalen umher, um nötige Sachen auszusuchen. Da unser Hauptanliegen Wasser war, das wir nicht finden konnten, fragten wir die eine der beiden Grazien, wo Wasser zufinden wäre. Die antwortete in gebrochenem Englisch, dass das Wasser erst in zweieinhalb Stunden geliefert werden würde. Nun gut! Also machen wir uns nach zweieinhalb Stunden wieder auf den Weg zu dem kleinen Supermarkt. Man teilte uns aber mit, dass das Wasser leider nicht eingetroffen sei, aber morgen kommen würde! Da sind wir nur leider schon weg bzw. verdurstet. Also schnappen wir uns ein paar Snickers und andere schöne Dinge und wackeln zur Kasse. Erstaunt entgegneten uns die beiden Lebensmittelfachverkäuferinnen, dass sie uns auch diese Sachen heute nicht verkaufen können, weil sie erst morgen eröffnen!? Im Ernst? Warum lassen uns die beiden Nobelpreisträgerinnen denn ein zweites Mal kommen, wenn das Wasser vermeintlich geliefert wird, wenn Sie uns das dann wegen der noch nicht erfolgten Geschäftseröffnung, sowiesogar nicht verkaufen hätten können? „Hallo, versteckte Kamera bist du schon wieder da irgendwo?“
Nun gut, bis zum Abendessen halten wir es auch noch ohne Wasser und Snickers aus. Snickers ist uns übrigens aufgefallen, weil es auf unserer gesamten Tour in wirklich jedem großen und kleinen Laden zu kaufen war. Vereinzelt gab es keine Coca-Cola, aber Snickers gab es immer und überall! Etwas früher als sonst sitzen wir im Restaurant und studieren die Speisekarte. Der Fotoübersetzer von Google leistet wie so oft gute bis grundlegende Dienste. Zwei Gerichte erwecken nach der Übersetzung unser besonderes Interesse: „Ohren von drei Fischsorten“ und „Flug unterbrochen“ (Chicken Wings gemäß Foto in der Karte)? Mhhh… lieber was anderes bestellen!
Im Restaurant sitzend, mussten wir etwas warten, bis unser Wohltäter Vladimir N. mit einigen Geschäftsfreunden aus dem Besprechungszimmer an unseren Tisch kam. Dann wurden wir seinen Geschäftspartnern aus Europa und seinem Sohn vorgestellt. Vladimir N. spricht sehr gut Deutsch und ist ein herzlicher, lebenslustiger Mann. Auch sehr erfolgreich, was er aber nicht vor sich herträgt. Mit seinem Sohn Alex sprechen wir im Gegensatz zum Vater Englisch. Alex macht uns sehr gute Kontakte zu einer Werkstatt und zu einem Motorradclub, den wir aber aus Zeitmangel nicht mehr besuchen können. Per WhatsApp ist er auch in den folgenden Tagen ein dankbarer Ansprechpartner. Vater und Sohn leben die kirgisische Gastfreundschaft wirklich vorbildlich. Da der Abend schon recht vorgerückt ist, werden wir zu einem „Jägermeister“ eingeladen. Immerhin 5 Personen am Tisch trinken „waidmännisch, wie es sich gehört“ mit der linken Hand. Mit „Jägermeister“ und „Rammstein“ (siehe Bericht Usbekistan) hätten wir in dieser Region wirklich nicht gerechnet. Jetzt gehören beide aber fest zu unseren Erinnerungen an Usbekistan und Kirgistan!
Auf dem Rückweg zu unserem Zimmer entschieden wir uns noch eine Zigarre am Wasser rauchen zu wollen. Es war fast Vollmond und herrlich warm. Mit etwas Wolken war die Stimmung fast ein bisschen unwirklich.
Tag 38 (15. Juni 2022)
Der Tag begann wie fast jeder um 7:00 Uhr morgens. Nach dem Frühstück holten wir, noch in Polohemd und kurzer Hose, unsere Motorräder vom Parkplatz und fuhren sie direkt vor unseren Eingang. Die Beladung und das Umziehen waren schnell gemacht. So fuhren wir zur Schranke, die uns noch von der Außenwelt trennte. Als Claudius für uns auscheckte, mussten wir noch weitere 5 Minuten warten. Hier war es üblich, dass die Zimmer vor Abreise der Gäste noch durch das Servicepersonal überprüft werden. Offensichtlich haben sie mit Vandalismus oder Verschmutzung hier dezent andere Erlebnisse als bei uns in Deutschland!
Nun starteten wir tatsächlich in unseren letzten Fahrtag. Die aller-aller-aller-aller-letzten 250 km der „1. Etappe“ nach Bishkek. Ehrlich gesagt, kein durchweg positives Gefühl. Insbesondere Claudius wäre gerne gen Süden nach Indien abgebogen. Auf der anderen Seite hatten wir bereits seit zwei Tagen den klassischen Reiseablauf verlassen und uns seelisch schon auf die Rückreise vorbereitet und freuten uns auch sehr auf unser Zuhause. Aber jetzt, mehr denn je, schlagen zwei Herzen in unserer Brust!
Die kirgisische Polizei war auch an diesem Tag wieder voll bei der Sache und machte Geschwindigkeitskontrollen im Akkord. Bei der dritten Polizeikontrolle winkte man uns raus. Der Beamte begrüßt uns erstmal freundlich mit Handschlag. Der Polizist ging zu Philip und Claudius konnte die Konversation live über das Headset verfolgen. Philip hatte sich sehr über die letzte Strafe von 50 $ geärgert und Claudius gegenüber für die nächste Kontrolle den Mund ordentlich voll genommen: „ Beim nächsten Mal zahle ich nichts, oder höchstens 20 $. Da bin ich jetzt stuhr, hab kein Bock mehr! Dann soll er doch so ein Zettelchen schreiben, mal sehen was passiert!“ Jedem, der diesen Blog liest, wird schon jetzt klar sein, dass es weitestgehend anders kam. Ein Verhandlungsergebnis von 20 $ ist eher nicht realistisch – denkt Claudius! Und hier ist die Auflösung:
Der Beamte zeigte Philip die Radarpistole, die in einen camouflagefarbige Schutzhülle eingepackt ist. Der Polizist (mit nicht wirklich einschüchternder Figur und mit Tellermütze auf dem Kopf) quasselte auf Philip ein und tippt dabei immer wieder mit dem Finger auf das Display seiner Radarpistole und auf den Tacho von Philip…Philip hatte maulfaul und bestimmt auf jede seiner Aussagen NUR eine Antwort: „Njet – Njet – Njet“. Unglaublich, aber Philip hat es wirklich geschafft, den Typen an die Wand zu stellen. Schließlich gab er auf und ließ uns ohne jede Strafe weiterfahren. Das hätte Claudius nie gedacht! Allerdings waren wir uns beide auch einig, dass dieser Polizist nicht zu den schlimmsten seiner Zunft zählte. Gott sei Dank, somit ist unsere Ehre wieder hergestellt!
Die weitere Fahrt nach Bishkek war relativ unspektakulär. An einer alten Tankstelle hielten wir an und wollten unser Hotel in Bishkek buchen. Aufgrund mangelnden Netzes, gestaltet sich dies jedoch schwierig. Letztendlich haben wir aber für 35 $ die Nacht ein ganzes Apartment im Zentrum von Bishkek ergattern können. Kein Luxus, aber völlig in Ordnung!
Die Straßen am Nordufer des Issyk Kul sind in einem hervorragenden Zustand und glatt wie ein Babypopo. Auch die Landschaft passte mehr zu einer Fahrt entlang des Bodensees. Dies wiederum löste ein Gefühl aus, das zu dem unumgänglichen Ende einer großen Abenteuerfahrt passt – nämlich irgendwie passt hier garnix zueinander! So empfand es zumindest Claudius. Aber alles hat ein Ende (nur die Wurst…).
In Bishkek angekommen, mussten wir uns erstmal durch den Stau der Vororte mit industriellem Charm kämpfen. Die Belastung mit Abgasen, Staub und Gestank war enorm! Aber schließlich hatten wir es geschafft und standen vor einem Hochhaus, dessen Innenhof für unsere Motorräder gut gesichert war. Philip sprang kurz mit der Vermieterin nach oben und kam mit einem Daumen nach oben wieder runter. Dieser graue Klotz sollte also unser zu Hause für die nächsten drei Nächte sein. Und es ist der quasi offizelle Endpunkt der Reise. Dazu mussten wur dann auch kurz in Siegerpose auf die Mopeds und das in einem Bild festhalten:
Nach einer Dusche und anderen Klamotten buchten wir unseren Flug für den 19. Juni über Istanbul nach Hamburg. Die Buchung bestätigte ein Maximalgewicht des Gepäcks von 30 kg. Da wir aber keine großen Koffer haben, stellte sich die Frage, ob wir die 30 kg auch auf mehrere Gepäckstücke verteilen können. Da das Internet hierüber keine eindeutige Aussage trifft, machten wir uns auf den Weg zu einem Büro von „Turkish Airlines“. Zu unserer Verwunderung war das Ladenbüro tatsächlich geöffnet und man konnte uns qualifizierte Auskunft geben: Wir können die 30 kg auf so viele Gepäckstücke verteilen, wie wir lustig sind! Damit ist unser Problem gelöst! Wir brauchen nur noch mehr Gepäckstücke.
Auf dem Weg treffen wir noch Verabredungen für den nächsten Tag mit der Werkstatt und der Brauerei. Das geht so: Mit Google übersetzt man vom Deutschen ins Russische (kyrillische Schrift). Dann kopiert man das Russische bei WhatsApp rein. Die Antwort kommt natürlich wieder auf kyrillisch und muss mit Google wieder zurück übersetzt werden. Das klingt kompliziert, geht aber nach den ersten 2-3 WhatsApps gut von der Hand.
Tag 39 (16. Juni 2022)
Wir stehen um 7:30 Uhr auf. Erster Tagesordnungspunkt (nach dem Frühstück) ist das Waschen der Motorräder. Über Google-Maps findt Claudius in 2 km Entfernung eine Autowaschanlage. Finden heißt, dass sie auf der Karte angezeigt wird, aber in Wirklichkeit nicht oder nicht mehr existiert! Ein freundlicher Passant schickt uns nur wenige 100 Meter weiter zu einem Betrieb, der unseren Wunsch nach sauberen Motorrädern erfüllen sollte. Nach einer in Russisch-Kirgisisch-Englisch-Zeichensprachen-Verhandlung dürfen wir unsere Motorräder auch selbst waschen. Das ist uns immer wichtig, weil der Hochdruckreiniger tatsächlich empfindliche Gummiteile und Dichtungren beschädigen kann. Und Wasser im Auspuff, Ansaugtrakt, Vergaser etc. möchte man auch nicht haben. Das kaputte Gummi am Kardan bei Claudius Maschine schützen wir durch eine Plastiktüte, die mit Kabelbindern festgezogen wurde. Der Preis für den Spaß war der Schnäppchenfaktor: Nur 2,50 € umgerechnet! Also zusammen.
Nach der Wäsche stehen unsere beiden „Gummikühe“ wieder fast wie neu da. Wir wundern uns selbst! Es wundert uns aber nicht, dass Philips Motorrad nach der Abkühlung nicht selbst angekickt bekommt. Also muss „der Anlasser“ seines Amtes walten und anschieben. Unterstützung bekommt er von „Felix“, einem jungen Kirgisen, mit dem wir ins Gespräch gekommen waren. Claudius wollte von ihm wissen, was er denn beruflich macht. Die Antwort war Ökonom. Diese Antwort ist genauso unbefriedigend, wie Rentner. Am Ende weiß man immer noch nicht, was derjenige macht oder gemacht hat!? Projektleiter ist genauso ein schöner Begriff. Aber nun Schluss damit, das ist Stoff für ein weiteres Buch 🙂 Hat Claudius eigentlich schon mal erzählt, was er von Restaurants hält, in denen man nicht mit Kreditkarte bezahlen kann….ach ja, das hatten wir ja schon.
Auf jeden Fall schieben die beiden Philip an. Auf den ersten 10-20 m tut sich nichts! Die beiden rennen und rennen und rennen. Es tut sich nichts! Am Ende werden es gut 100 m gewesen sein. Claudius Lunge hing schon nicht mehr über der Schulter, sondern war vom Wind verweht worden, da bemerkte Philip, dass er den Not-Ausschalter noch umgelegt hatte. Die Maschine konnte also garnicht anspringen! Nachdem der Schalter in die richtige Position gerückt war, sprang das Moped sofort an. Trotz Philips Entschuldigung kamen „die beiden Anlasser“ nur langsam wieder zu Atem.
Unser Mittagessen nahmen wir in einem Einkaufszentrum ein. Im obersten Geschoss gab es eine Mischung aus Indoorspielplatz und Foodcourt. Erwähnenswerterweise aßen wir – zu Recht und angemessener Weise – mit GOLDENEM Besteck! Das kennt Claudius sonst nur von zu Hause 🙂
Für den Abend hatten wir uns eine Restaurantentdeckung ganz in der Nähe unseres Apartments aufbewahrt. Es sah für Claudius ganz nach einem der von ihm so heiss und innig geliebten China-Restaurants aus. Tatsächlich handelte es sich aber „nur“ um ein recht gutes kirgisisches Restaurant. Die Verständigung mit der Kellnerin war hingegen nur halb gut. Wir waren uns tatsächlich nicht sicher, ob sie bei dem für Claudius bestellten Gericht wirklich SCHWEINEOHR gesagt hatte? Teils aus Frustration, weil er nichts ansprechendes sonst gefunden hatte, teils aus Abenteuerlust und in der Hoffnung auf ein Missverständnis, bestellt Claudius genau dieses Gericht. Naja – sie sagte „Pig“ und zeigte sich an das Ohr… für Philip war das relativ eindeutig. Aber die Welt gehört den Mutigen…
Und was kam? Irgendwie gegarte Schweineohren in brauner Soße mit Gemüse. Eigentlich schmeckte es garnicht schlecht. Aber man bekommt den Gedanken einfach nicht aus dem Kopf. Es handelte sich bei diesen Schweineohren um Ohren von besonders kleinen, jungen, süßen rosaroten Babyschweinen, die wahrscheinlich schon 15 Jahre in der Tiefkühltruhe auf Claudius warteten – sonst bestellt sowas ja bestimmt keiner! Sie waren nur wenige Millimeter dick und recht zart, aber halt knorpelig und ziemlich fett. Es fühlt sich im ersten Moment so an, so alsob man in eine Badekappe aus Gummi beißt. Spätestens nach der Hälfte der Portion war Schluss mit der Abendteuerlust. Aber immerhin war Claudius um eine Erfahrung reicher und er hatte nicht gekniffen! Philip hatte, auf Empfehlung der Kellnerin, Rindfleischmedallions, sie sehr köstlich waren. Ach ja, und ohne Koriander!
Den Abend verbrachten wir dann in unserer Wohnng mit mehreren Folgen „Suits“ u.a. mit Meghan Markle. Netflix kann man hier übrigens nicht direkt empfangen. Manchmal unterbricht Netflix wegen möglicher nicht existierender Ausstrahlungsrechte in Kirgistan die Übertragung. Philip als ausgefuchster Techniker richtet innerhalb weniger Minuten einen VPN-Tunnel nach Deutschland ein. So denkt Netflix, dass wir in Deutschland sind und lässt uns in Ruhe weiter fernsehen!
Tag 40 (17. Juni 2022)
Unser opulentes Frühstück besteht heute, wie auch gestern, aus Nutella, angetrocknetem türkischem Weißbrot, schwarzem Kaffee, Müsli und Joghurt aus der Flasche, Müsli und Joghurt mit künstlichem Erdbeergeschmack. Also eine wahre Vitamin-Kur!
Anschließend schwangen wir uns auf die Motorräder und fuhren zuerst zu „Roman“, der unser Ansprechpartner in der Werkstatt sein sollte. Auch wenn die Motorräder uns sehr respketabel die Strecke bis hierher gebracht hatten, sind diverse Wartungs- und Instandhaltungsmaßnahmen fällig. Alex hatte uns sowohl von der Werkstatt, als auch von der Brauerei (wo die Motorräder dann für die Zeit unserer Abwesenheit untergestellt werden) die GPS-Koordinaten geschickt. Damit wir nicht suchen müssen. Mussten wir allerdings trotzdem….
So stehen wir vor einem großen Tor beplankt mit Stahlplatten. Das dumme Ding ist abgeschlossen und weit und breit keiner zu sehen. Daraufhin sagt Claudius: „ Dann müssen wir Roman mal anrufen!“ Aus irgendeinem Impuls heraus prügelt Claudius auf die Stahlplatten ein und brüllt mit voller Lautstärke: „HAAALOOO, ist da jemand???“ Philip zu der Aktion: „ Ach, so meintest du „anrufen“? – Kann man machen!“ und tatsächlich kommt jemand zum Tor, öffnet und kann uns sogar sagen, wo „Roman“ arbeitet.
Philip würde nie jemanden – geschweige denn alleine – an unseren Motorrädern arbeiten lassen. Deshalb war der erste Plan, irgendwann im Herbst oder Frühjahr eventuell mit einem zweiten Mechaniker und den benötigten Ersatzteilen nach Bishkek zu reisen. Da außerhalb der Saison die Flüge unglaublich billig sind, schien das halbwegs verargumentierbar. Nach einem kurzen Gespräch mit dem jungen Mann mit dem ölverschmierten T-Shirt, war Philipp aber klar: Mit DEM geht was! Roman spricht ausreichend Englisch, weiß wovon er spricht und ist megasympathisch.
Es steht sogar eine alte BMW, die nur wenig älter als unsere ist, in seiner Werkstatt. Wir bieten ihm noch an, dass wir aus Deutschland Ersatzteile mitbringen können, die er hier sicherlich nicht bekommt.
Nach einer sehr befriedigenden halben Stunde schwingen wir uns wieder auf die Motorräder und fahren zur Brauerei, die die Endstation für unsere tapferen Motorräder sein soll.
Hier empfängt uns mit einem freudigen Lachen der Mitarbeiter von Alex namens „Rasul“. Er scheint am Freitagnachmittag in der Brauerei nicht mehr viel zu tun zuhaben und arbeitet an seinem Auto, einem alten schwarzen Honda.
In den nächsten 3,5 Stunden schraubt Philip „ernsthaft“ und Claudius „bemüht“ an den Motorrädern. Philip baut in Rekordgeschwindigkeit seinen defekten Anlasser aus und dann die ganze Kiste wieder zusammen – practise makes perfect. Bei Claudius werden die Gaszüge ausgebaut. Dies, weil der Gasgriff verdächtig schwer geht und die Außenhülle der Züge an einer Stelle kaputt sind. Die Hauptarbeit sind jedoch die Zylinderköpfe bei Claudius. Wegen des hohen Ölverbrauchs müssen die runter. Es bestätigt sich die Annahme, dass das viele Öl verbrannt wurde, viel Ablagerungen (Ölkohle) hinterlassen haben und die Zylinder überarbeitet werden müssen. Dafür nehmen wir sie mit nach Deutschland. Der Anlasser von Philip kommt auch mit, mal sehen was man da noch retten kann. Alle anderen Arbeiten können dann vor Ort gemacht werden. Dann werden die Zylinder und Kolben möglichst staubdicht mit Plastiktüten verpackt – so sind dann die Motorräder bereit für die Zwangspause.
An dieser Stelle haben wir dann auch die zurückgelegte Strecke auf dieser Etappe ermittelt. Da unsere Werte etwas voneinader abgewichen sind, haben wir den Mittelwert genommen:
7048 KM
haben wir von Bulgarien nach Bishkek „auf eigenem Reifen“ zurückgelegt.
Rasul baut geduldig weiter an seinem Auto, während wir uns etwas unter Zeitdruck fühlen, weil eigentlich für ihn schon Feierabend wäre.
Nach 3,5 Stunden bei deutlich über 30 °C waren wir beide ziemlich fertig (es ist ja auch nicht erlaubt, während der Montagetätigkeit zu trinken oder zu essen!). Rasul erbarmte sich unser und fuhr uns in seinem aufgemotzten uralten Honda nach Hause. Meist war der Auspuff das Lauteste. Zeitweise aber auch seine Rap-Musik in Deutsch aus Berlin: „ Ich breche dir die Nase….“!
Als Kontrastprogramm aßen wir abends in einem sehr guten Steak-Restaurant über den Dächern von Bishkek zu Abend. Einziger Fehler an der tollen Kulisse: Wir waren in einem Halal-Restaurant gelandet und es gab kein Bier auch keinen Wein, nur Maracujasaft – och nööö!!!! Aber das Fleisch war sehr gut!
Auf einer Bank rauchen wir noch zum Abschluss dieses sehr erfolgreichen Tages eine schöne Zigarre und amüsieren uns über die Passanten. Dann geht es ins Bett!
Tag 41 (18. Juni 2022)
Der letzte Tag vor dem Heimflug. Auf unserer Aufgabenliste für heute standen diverse Einkäufe für unsere Rückreise nach Deutschland. Wir brauchten noch eine große Tasche für die Motorrad-Klamotten und für die Stiefel. Philip brauchte noch ein Handgepäck, da er seinen Tankrucksack in Kirgistan lassen wird.
Ein kurzer Blick im Einkaufszentrum auf die hier angebotenen Waren zeigte, Schnäppchen gibt es HIER nicht! Aber im Supermarkt hatte uns eine junge Dame den Tipp gegeben, wie auch schon zuvor auf unserer Reise, es auf dem Basar zu versuchen. Der „Osh Basar“ im Westen von Bishkek ist „the place to go“.
Gesagt getan! Für 111 SOM/1,30 € fuhren wir hochherrschaftlich mit dem Taxi die gut 4 km bis zum Osh Basar. Das Bild war ähnlich wie beim Basar in Tiflis, wo wir den tollen Koffer mit dem Leopardenfutter erstanden hatten. Erinnert Ihr Euch?
Unendlich viele Verkaufsstände in festen Gebäuden und unter diversen Schirmen, die wiederum miteinander verbunden waren durch kunstvoll angeknüpfte Planen – ein Irrgang von mehreren Kilometern Länge. Hier wurden Waren aller Art in unglaublichen Mengen angeboten.
So erstanden wir einen Hartschalenkoffer als Bordgepäck, eine große Tasche und eine Kofferwaage für zusammen gut 30 €. Und das ganze hat dazu noch richtig Spaß gemacht, wir hätten ewig über den Basar tingeln können! Da wir ja noch die Zylinderköpfe etwas polstern wollten, haben wir zum großen Erstaunen der Kofferverkäufer auch gleich noch das „Ausstopfmaterial“ einer Ausstellungstasche mitgenommen.
Die Taxifahrer verlangten von uns für den Rückweg mehr als das Doppelte, als der Taxifahrer auf dem Hinweg verlangt hatte. Deshalb ließen wir den ersten Taxifahrer im Regen stehen. Später half uns eine Amerikanerinnen mit kirgisische Wurzeln bei der Verhandlung. Es wurde ein bisschen billiger, aber den ersten Tarif haben wir nicht annähernd durchsetzen können. Statt für 111 SOM reisten wir nun für 200 SOM (etwa 2,50 €) zurück. Heute lassen wir es krachen !
Zu Mittag aßen wir in einem sehr einfachen Restaurant namens „ Karavan Saray“. Nachfolgend zeigen wir Euch den Bon, der nur mit dem Foto-Übersetzer von Google nachprüfbar ist….daily business für uns in den letzten Wochen.
So, nun haben wir noch diesen Beitrag fertig gemacht und um 23:15 unserer Zeit holt uns das Taxi ab. Um 2:25 geht es zurück nach Hamburg. Einen letzten finalen Beitrag zur 1. Etappe gibt es dann aus der Heimat.
Dieser Beitrag hat 9 Kommentare
Sehr, sehr beeindruckend – vom 1 bis zum 41. Tag. Guten Flug!
Hat großen Spaß gemacht euch zu begleiten. Ziehe meinen Hut vor euch.
Na klar erinnern wir uns! War doch gerade erst gestern und jetzt schon vorbei? Ich freue mich auf die Fortsetzung. Liebe Grüße an Euch zwei (Claudius unbekannterweise) es hat auch mir sehr viel Spaß gemacht euch zu folgen und vielen Dank für die kurzweilige Berichte. Wir Couch-Potatoes können nur erahnen welche fahrerischen, zwischenmenschlichen und mentalen Erfahrungen ihr gemacht habt.
Kommt gut nach Hause!
Vielen vielen Dank für Eure sensationelle Berichterstattung!
Kommt gut nach Hause.
Interessant…wenn ich bin meinem Handy aus kommentiere, wird es wohl nicht gespeichert… Okay, zweiter Versuch: Nun seid ihr fast zu Hause, im Gepäck ein großes neues Stück Abenteuerlust. Und jeder Reise beginnt ja bekanntlich mit dem ersten… Kilometer! 🙂 Ich freue mich sehr auf euch! Ich poliere schon einmal die Peitsche.
…..nach 3 Wochen Urlaub mit dem Auto (Andalusien) bin ich nun wieder in HH und kann daher leider erst heute, am Tag eurer Rückreise, eine glatte 1 mit Sternen für das was ihr geleistet habt aussprechen. Euer Schreibstil ist, by the way, sensationell……….! Lieber Claudius, ich freue mich schon auf unser nächstes Essen beim Greichen!
welcome home !
Sehr cool! ?☺️
Hi Jungs, ein tolles Abendteuer. Es hat riesigen Spaß gebracht mitzulesen und es stellte sich dabei das Gefühl ein selbst dabei gewesen zu sein. Gute Rückreise und lasst euch Zuhause kräftig feiern.