Tage 31 bis 34 / Von Usbekistan nach Kirgistan

Tag 31 (6. Juni 2022)

Beim Frühstück saßen wir mit anderen Gästen des Hostels an einem großen Tisch und kamen natürlich gleich mit Jennifer und Kevin sehr nett ins Gespräch. Die beiden lebten zuletzt in Neuseeland und ziehen gerade in die USA. Er ist taiwanesicher Abstammung und sie kommt aus England. Kevin reist sehr gerne und hat auch einen eigenen Blog. Gefrühstückt wird in einem großzügigen Innenhof, in dem auch ein großer Geländewagen direkt neben dem Tisch geparkt ist. In einem vergleichbaren Hof stehen auf der anderen Seite der Straße unsere Motorräder. Nach dem Essen wurde gepackt und Claudius stellte fest, dass in seinem Koffer ein Glas mit Pesto detoniert ist. Sowas hat man doch immer gerne!

Aber nun ab Richtung Taschkent! Während wir uns auf dem Land mit der Suche nach Tankstellen schwertun, gelingt dies in Großstädten wie Taschkent, unserem nächsten Ziel, offensichtlich gut. Mit letztem Tropfen sahen wir dieses Schild und waren schwer erleichtert:

 An einer kleinen Gastankstelle machten wir nur eine kurze Pause. Im Nu waren wir umringt von mindestens 20 Männern, die uns wie exotische Tiere im Zoo beäugten. Wie so oft, wurden unsere Motorräder bestaunt und die üblichen Fragen gestellt: Seid ihr die ganze Strecke gefahren? Sind das wirklich BMW Motorräder? Wieviel passt denn in den Tank? Was tankt ihr denn? Warum macht ihr so eine Reise? Aber immer freundlich, nicht zu aufdringlich und positiv anerkennend.

Philip scherzte noch, dass Claudius ja gemäß gerechter Reihenfolge bei der nächsten Panne dran ist. Wie sehr sollte er Recht behalten: Am gleichen Tag fiel noch Claudius Drehzahlmesser unangenehm auf, weil er wie Rumpelstilzchen im Kreis tanzte. Dieses kleine Scheißding! Naja auch hier gilt: Solange die Kisten weiterfahren ist es nur ein eher kosmetischer Schaden!

Taschkent erreichen wir nach einer Tagesetappe von 320 Kilometern. In Taschkent stiegen wir im Hotel „Saray“ ab. Das Hotel liegt in einer kleinen Nebenstraße und hatte sogar einen kleinen Pool im Innenhof. Wie üblich machten wir uns nach einer Dusche auf und liefen etwas die Gegend ab. Wir benötigten wieder etwas Cash. Wir fanden auch dieses Hotel mit dem namen „Orzu“ – unklar bleibt, was es damit auf sich hatte. Ihr könnt Euch aber sicherlich vorstellen, dass uns spontan viele mögliche Erklärungen einfielen.

Zu Abend aßen wir, auf Empfehlung der Rezeption, bei einem „Georgier“ um die Ecke. Dort gab es ein großes Wandgemälde von Tiflis. Stolz zeigte Claudius dem Kellner ein identisches Foto im Handy, das wir in Tiflis aufgenommen haben und fragte ihn, ob er das kenne? Aber er antwortete, dass er bei sowas nicht gut wäre. Schaut Euch bitte die Fotos an und sagt uns dann, ob der wirklich ein Georgier war?

Den herrlich warmen Abend beendeten wir mit einer Zigarre in der „Poolarea“. Claudius wollte eigentlich noch mal das Wasser „antesten“ – aber Kopf und ausführende Motorik hatten da offensichtlich Kommunikationprobleme und er kippte sich das Wasserglas über Shirt und Shorts…. Das Bild dazu ersparen wir Euch…

Tag 32 (7. Juni 2022)

Gut gefrühstückt haben wir (ja, genau: Philip) uns einmal Claudius Drehzahlmesser angesehen. Da alles andere in dem „Kombi-Intrument“ einwandfrei läuft, ist es nicht genau klar, was das gute Stück zum Spinnen gebracht hat. Zudem ist an Claudius Motorrad auch der ganze Kabelbaum nicht mehr so recht „original“ und macht die Fehlersuche in der Elektrik nicht leichter. Richtig was zu finden war nicht. Alle Steckverbindungen wurden mal geprüft. Der Probelauf zeigte dann, dass die Drehzahl wieder richtig und fehlerfrei angezeigt wurde. Danach machen wir uns auf den Weg. Hinter Taschkent beginnen schon bald die Berge. Auf 2.200 m haben wir dann die erste ernsthafte Kontrolle durch Soldaten mit Kalaschnikows vor einem Tunnel. Die Jungs sind gut drauf und wir haben wie immer unseren Spaß. Bei dieser Kontrolle, anders als in der Türkei, wollten die Jungs wirklich Pass und Fahrzeugpapiere sehen. Zügig werden diese gecheckt und weiter geht’s.

Wir „rasten“ weiter auf etwa 1600 m Höhe. Die Temperaturen waren hier von 35 °C in der Ebene auf angenehme 21°C gefallen. Als sich langsam der Hunger (natürlich bei Claudius) meldet, entdecken wir eine Art „Open-Air-Grillstation-Rasthof“. Es geht dabei von der Passstraße ein Schotterweg ab, der uns etwas den Hang hinauf führt. Das ist in etwa vergleichbar mit den LKW-Nothaltespuren in den Alpen oder Kassler-Bergen. Zum Mittag gibt es wieder die von uns so sehr geliebten Spieße, die wir auf den hier in Zentralasien typischen „Taptschan“ verzehren. Beim Essen philosophiert Philip regelmäßig über seine abgrundtiefe Abneigung gegenüber„Zattelfleisch“ (Fleisch mit glibberigem Fett, Sehnen und Knorpel). Diverse Kontakte mit den anderen Gästen und Schaulustigen gehören zwischenzeitlich für uns zur Tagesordnung.

Die Zeiten für den „Anlasser“ werden zunehmend schlechter, da Philip beim Ankicken seiner Maschine immer besser wird. Er hat ja immer drei Versuche, bevor Claudius anpacken „darf“.

Die heutige Etappe brachte uns bis kurz vor die Grenze zu Kirgistan, nach Andijon. Auch wenn wir bisher alle Grenzübergänge komplett unproblematisch und auch zeitlich recht schnell überstanden hatten, ist das ja kein Garant dafür, dass es immer so ist. Also wollten wir am nächsten Tag früh zur Grenze, denn diese ist nur bei Tageslicht geöffnet. Die Hotelsuche verlief relativ einfach, quasi binär. Es gab eigentlich nur zwei Hotels. Das eine hatte bei Booking.com eine Bewertung von 4,6 (von 10), was ein recht eindeutiger Indikator dafür ist, dass man vermutlich dieses Hotel mit mehr Krankheiten verlässt, als man es betreten hat. Das andere Hotel hatte sehr gute Bewertungen. Also entschieden wir uns für das Chinor Hotel. Das Hotel hatte einen Parkplatz im Hinterhof und wir wurden sofort „umsorgt“ und uns wurde mit dem Gepäck geholfen. Wir fragen uns ja auch immer wieder, was die Leute denken, wenn wir mit unserem Motorrädern und in unseren nicht so ganz sauberem Outfits in diese eher sauberen Hotels marschieren. Nach einem Tag unter dem Helm ist auch die Frisur nicht mehr ganz taufrisch. An der Rezeption wurden wir dann sehr nett und zudem in deutscher Sprache begrüßt. Der Rezeptionist hatte deutsch gelernt und offensichtlich ein Faible für das Land. Wir hatten uns im Vorfeld bei Booking.com für eine „Familien Suite“ mit einem Schlaf- und einem Wohnraum entschieden. Als es dann aber um das gebuchte Zimmer und den Preis ging, gingen die Vorstellungen über Zimmerkategorie und vor allem Preis etwas auseinander. Das ganze wurde durch uns dann „friendly, yet firmly“ klargestellt und dann auch so vom Hotel akzeptiert.

Abends in Andijon aßen wir wieder mal in einem türkischen Restaurant. Hier gab es mobile Trennwände auf Rollen. Und promt schirmte unser Nachbar seine Frau und seine Familie vor unseren Blicken ab. Mehrmals justierte er dann die Trennwand noch nach. Etwas befremdlich in unseren Augen, hier aber sicherlich nicht selten, denn sonst wären die Dinger ja nicht da. Insgesamt hatten wir den Eindruck, dass einige eher „tradionelle“ Familien mit uns in dem Restaurant aßen. Andere Länder andere Sitten.

Dann sprach uns eine Angestellte an und wollte wissen, woher wir kommen. „Muazzam“ war 27 Jahre alt und neben ihrem Job im Restaurant auch Englischlehrerin. Trotz (!) ihres (für lokale Verhältnisse) hohen Alters von 27 Jahren war sie noch nicht verheiratet, wie sie sagte. Hier würde man im Alter von 18 Jahren oder 19 Jahren heiraten in der Regel. Sie wollte gerne ihr Englisch verbessern und war sicherlich auch neugierig auf die beiden herausragend attraktiven Fremden. Die junge Frau war total clever und sehr sympathisch und zeichnete mit ihrem Kopftuch ein ganz anderes Bild von Frauen im Islam, als man es in so mancher voreingenommenen deutschen „Schublade“ finden würde!

Tag 32 (8. Juni 2022)

Bei dem Frühstück ging es dann gleich mit neuen Kontakten weiter. Wir kamen ins Gespräch mit einem Mann aus Usbekistan, der im Tourismus arbeitet und in der Schule zwei Jahre Deutsch gelernt hat. Mit ihm konnte man sich auf Deutsch relativ gut unterhalten. Stolz gab er kund, dass er bekennender Rammstein-Fan ist. Rammstein in Usbekistan, wer hätte das gedacht!? Dies dieses Land gefällt uns sehr und überrascht uns immer wieder.

Auf Bitte des Hotelpersonals und des deutschsprachigen Managers, gab Claudius in der Lobby noch vor unserer Abfahrt ein Interview zur Qualität des Hauses. Dann wurden wir gebeten, die beiden Motorräder vor dem Hotel vorzufahren, denn sie wollten davon einen Instagrambeitrag machen. Na klar, wir machen ja alles mit!

Für heute hatten wir nur eine sehr kurze Strecke von 80 km über die Grenze nach Kirgistan in die Stadt „Osh“ auf dem Plan. Der Grenzübertritt verlief völlig unproblematisch. Die Zöllner hatten wieder ihren Spaß mit unserer „Keule der Sympathie“ und wir auch! Bei der Ausreise schien es zunächst auszureichen, dass wir unsere Koffer auch öffnen wollen. Dann kam aber der „Chef“, den einer seiner Mitarbeiter mit einem Lachen im Gesicht den „Inquisitor“ nannte. Man muss dazu sagen, dass Philip ja eine Drohne im Gepäck hatte, die wir quasi illegal nach Usbekistan eingeführt hatten. Wohl wissentlich hatte Philip morgens die Drohne in eine graue Mülltüte relativ weit unten in einen Koffer gepackt. Fröhich und lachend wie immer wurden also die Koffer geöffnet. Den staunenden Zöllnern wird dann präsentiert, was es da zu finden gibt: Motoröl, Ersatzteile, Klopapier, Reparaturhandbuch, Klebeband, Regenhose… Das Interesse an diesen Kuriositäten lässt dann bei den Zöllnern sehr schnell nach, und zu den wichtigen Dingen dringt man dann garnicht mehr vor. Damit war dann auch unsere Inquisition für uns gut gelaufen und wir durften quasi unter dem Jubel der Zöllner das Land verlassen. Bei der Einreise nach Kirgistan ging es dann noch schneller. Hier wollte keiner einen Blick auf unsere Motorräder werfen. Interessant ist übrigens auch, dass nicht bei einem Grenzübergnag jemand die Fahrgestellnummer auch nur angesehen hat… die Papiere und vermutlich unsere gute Laune reichte immer aus…

Das Ziel heute in Osh war die Werkstatt „Zorro Moto“, die unter weltreisenden Motorradfahrer legendär ist. Wegen Corona war hier jedoch seit zwei Jahren fast Totentanz. Wir machten ein paar Wartungsarbeiten selbst und zahlten dafür umgerechnet zwölf Euro. Unseren Aufkleber haben wir natürlich dort auf das schwarze Brett zu den anderen geklebt und im Gegenzug zwei Aufkleber von Zorro abgestaubt, die jetzt an unserem Boxen prangen. Nach dem Umzug der Werkstatt vor knapp 2 Jahren war das „Schwarze Brett“ neu angelegt worden und demnach leider noch sehr leer. Gerne hätten wir hier viele alte Bekannte entdeckt!

Unser Hotel war das „Art Hotel“ – klein, sauber und günstig. Simkarten hatten wir nicht mehr bekommen, denn der Telefonladen hatte abends schon geschlossen, aber immerhin wussten wir jetzt, wo wir morgen früh hin müssen. Was dann kam war: Abendessen, Zack und fertig!

Tag 33 (9. Juni 2022)

Wir frühstücken um 8:00 Uhr zusammen mit zwei sich im Rentenalter befiundlichen Ehepaaren aus Niedersachsen, die unbedingt unsere Geschichten im Detail hören wollten und uns gar nicht mehr gehen ließen.

Eigentlich hätten wir schon längst losgefahren sein müssen. Aber wir brauchten unbedingt noch Simkarten für Kirgistan, Bargeld und zumindest ein einziges, ordentliches Hemd für Bishkek. Schließlich werden wir den „Gutmenschen“ treffen, bei dem wir unsere Motorräder für 11 Monate unterstellen dürfen. Gemeinsam wollen wir nämlich dort in den nächsten Tagen essen gehen. Da wir nicht wissen, ob es ihm Recht ist, lassen wir ihn hier namentlich unerwähnt. Aber die sofortige Bereitschaft schon während unserer Planungsphase unseren Motorrädern eine Unterkunft zu geben, war bereits das erste Beispiel der hier immer wieder anzutreffenden tollen Hilfsbereitschaft und Gastfreundlichkeit.

Um nicht jeden Tag Geld ziehen zumüssen, heben wir knapp 300 € am Geldautomaten ab. Das hat zur Folge, dass wir unsere Portemonnaies nicht mehr zubekommen – obwohl wir die Summe auf uns beide verteilen. Was für paradiesische Zustände!

Bevor wir die Stadt verlassen, müssen wir noch Öl kaufen und tanken. Letzteres ist seit dem Grenzübertritt nach Kirgistan kein Problem mehr. Wenn man alleine die Tankstellen, die wir vom Grenzübergang bis in das Zentrum von Osh gesehen haben, gleichmäßig auf Usbekistan verteilen würde, käme alle 50 km eine Tankstelle. Aber die Suche nach „unserem“ Öl (mineralisch, 20 W 50) wird zur Sysiphusarbeit. Unsere Maschinen mögen nicht das heutige vollsynthetische Öl, sondern eigentlich nur das „alte“ mineralische Öl. Der erste Laden hatte geschlossen, aber ein Nachbar telefonierte mit einem anderen Laden, den wir aber aufgrund der mangelhaften Angaben nicht finden konnten. Ein Werkstattbesitzer, der leider auch nicht das richtige Öl hatte, lud uns spontan auf Tee und eine gefüllte Teigtaschen ein. Am Ende konnten wir im vierten Laden einen 4 l Kanister mit halbwegs vergleichbarem Öl eintauschen gegen 1 l fast richtigen Öls. Das ist zwar eher für Trecker und Landmaschinen, aber das kommt unseren Mopeds ja nahe. Hoffentlich ist diese nicht ganz präzise Beschreibung verständlich!? Super Deal, wir haben also kein weiteres Geld ausgeben müssen! Der 1 l wurde abgemessen, indem er aus einem größeren Kanister in eine 1 l Colaflasche abgefüllt wurde. Praktisch!

Durch diese Öl-Odyssey kamen wir natürlich noch viel später aus der Stadt heraus. Unser Weg führte uns bewusster Weise nicht über die Landstraßen sondern über kleine unbefestigte Straßen in die Berge. Die Kulisse wurde immer schöner. Kirkistan ist im Gegensatz zu Usbekistan total „grün“. Wir kamen der imposanten Bergkulisse immer näher.

Dort ereilte uns dann auch das Vorhersehbare. Die Zeit verging, die Sonne senkte sich und der nächste Ort mit einem möglichen Hostel war noch fast 100 km entfernt. Was tun?

Natürlich campen wir! Das war sowieso nach der bisher einzigen Übernachtung im Zelt in der Türkei dringend nötig. Wir freuten uns sogar darauf! Wir fuhren noch ein wenig weiter, um einen guten Platz zu finden. Wir schlugen unsere Zelte auf einer Wiese neben einem Fluss auf. Unsere neuen Nachbarn waren diverse Kühe und deren Hinterlassenschaften. Also bildeten wir eine kleine Wagenburg aus Motorrädern, den beiden Zelten und unseren Klappstühlen. Die Kuhfladen direkt um unseren Lagerplatz „entschärfen“ wir dadurch, dass wir jeweils einen großen Stein darauf legten. Besser sich im Dunkeln den großen Zeh stoßen, als den Schmodder am Fuß haben und dann so ins Zelt kriechen zu müssen!!

Im Licht der untergehenden Sonne ließen wir noch die Drohne in die Luft und kochten uns anschließend Nudeln mit Wasser aus dem Fluss. Da wir diese Übernachtung nicht richtig geplant hatten, hatten wir keine Sauce für die Nudeln. Aber auch mit Salz und ordentlich Chilipulver, das hatten wir nämlich dabei, schmeckte es herrlich. Dann wurde kurz und schnell im Fluss abgewaschen. Bitterkalt war das Wasser, das von der Schneeschmelze die Berge herunter floss.

Anschließend wurde die obligatorische Zigarre quasi als Dessert gereicht. Über uns funkelten die Sterne als Philip fragte, ob wir nicht ein paar Schlager von seiner Playlist auf dem Handy hören wollten – gute Idee, wollen wir!

Fast fünf Wochen hatten wir keine Musik gehört. So singen wir lauthals mit zu Liedern wie: „Albany“ von Roger Whittaker, „Männer“ von Herbert Grönemeyer, „Verdammt ich lieb dich“ von Matthias Reim, und dem neuen Goodbye-Comfortzone-Starlied „Boy bub“ aus Georgien. Textsicherheit war Ehrensache! Als es langsam etwas kalt wurde, brachte ein kleines Tänzchen wieder Wärme und Leben in das Tal zurück! In unserem Alter schämt man sich tatsächlich nur noch für wenig!

Die Nacht war ruhig und erholsam. Mit den ersten Sonnenstrahlen kletterten wir um 6:30 Uhr aus unseren Schlafsäcken und kochten uns auf dem Campingkocher einen leckeren Kaffee, nachdem wir zuvor noch bei kühlen Temperaturen alles eingepackt und auf die Motorräder geschnallt hatten. Die ganze Zeit stand eine Kuh circa 100 m von uns entfernt und muhte ununterbrochen in wahnsinniger Lautstärke. Warum sie das tat, das wissen wir nicht, aber wir tauften sie deshalb die „Heulsuse“!

Gut, dass wir so früh gestartet sind, denn der Tag hatte es in sich. Zum Ende hatten wir über 200 km auf Passtraßen, üblen Schotterpisten mit losem Geröll, Schlaglöchern und „Wellblech“ hinter uns gebracht. Die breiten Pisten mit Wellblech sind am besten mit Tempo 60-80 km/h zu befahren. Die Konzentration und die Griffkraft am Lenker sind auf Anschlag, weil die wilde Fahrt ein Mittelding zwischen Kontrolle und Schlingern ist.

Das Panorama in der Bergwelt ist derart schön, dass wir fast an jeder Kurve einen neuen „Besten Blick“ hatten. Wir sind ja schon viele europäsche Passstraßen gefahren – aber soetwas haben wir bisher nur auf Bildern gesehen,

So kletterten wir auf 3200 m in die Höhe bis zu einem Jurtencamp am „Song Kul-See. Das Panorama war atemberaubend!

An den weiten Ufern grasten große Herden mit Pferden. Immer wieder traf man Hirten zu Pferde, die andere Pferde oder Schafe trieben.

Völlig fertig räumten wir unsere Sachen in unsere Jurte Nr. 7. Ein kurzer Spaziergang noch zum Ufer, das etwa 200 m entfernt war. Da es auf den letzten Metern allerdings sehr moorig wurde, drehten wir um und nahmen in der „Speise-Jurte“ platz, in der das Abendessen von der kirgisischen Betreiberfamilie serviert wurde. Alles war frisch gekocht und schmeckte hervorragend.

Am Tisch gegenüber saßen die einzigen anderen Gäste. Ein Ehepaar mit Tochter aus England/Schottland und deren Fahrer. Viele Leute mieten sich hier einen Geländewagen mit Fahrer, wenn sie kein eigenes Fahrzeug haben und sonst mit der Bahn durch das Land reisen. Vater „Justin“ hatte mit der Höhe zukämpfen, sein Blutdruck war am Boden. Seine Frau „Gina“ und Tochter „Anna“ versuchten ihn aufzuheitern. Aber erst als wir ins Gespräch kamen und von unserer Tour berichteten, vergaß er sein Leid und fragte uns Löcher in den Bauch, berichtete von seinem Leben in der Öl-Industrie und von seiner geliebten Harley-Davidson. Wir mussten ihm versprechen, am nächsten Morgen erst unsere Motorräder zu beladen und zu starten, wenn er wach ist und alles genau beobachten kann. Außerdem war er der Meinung, dass der Weg, den wir nehmen wollten vielleicht zu heftig werden würde. Diesen Weg waren sie nämlich zum See gekommen. Naja – mit einer 400 Kg Harley würden wir diese Straßen auch nicht fahren wollen…

Obwohl vor dem zu Bett gehen der Ofen in unserer Jurtenoch ordentlich mit Kohle angefeuert wurde, hat Claudius die erste Hälfte der Nacht gefroren. Gut, dass der Schlafsack in Griffnähe war!

Tag 34 (10. Juni 2022)

Philip wachte am nächsten Morgen mit einem steifen Kreuz auf. Seit Bett war bretthart. Er war sehr darüber verwundert, dass Claudius Bett butterweich war. Warum hat er bloß nicht das dritte Bett in der Jurte, das auch weich war, in unserer Jurte bezogen? 🙂 Dumm gelaufen!

Von dem Aufenthalt auf 3000 m Höhe haben wir körperlich wenig gemerkt. Eigentlich fast gar nichts!

Um 7:00 Uhr waren wir von selbst aufgewacht und gingen um 8:00 Uhr zum Frühstück. Pfannkuchen mit Marmelade, selbstgebackenes Schmalzgebäck und Kaffee machen Lust auf den neuen Fahrtag. Um 8:30 Uhr war dann die „Banja“ angeheizt. Und das geht so: Von außen wird ein Ofen mit Kohle beheizt, darüber befindet sich im Inneren der Banja ein Wassergefäß. Man zapft also innen heißes Wasser, verdünnt es mit kaltem Wasser je nach Belieben und gießt es sich über den Kopf, während man auf einem Lattenrost steht. Der ganze Raum ist mit warmer Luft und Wasserdampf geschwängert. Man hat also eine Kombination aus Dusche und Sauna. Danach fühlt man sich wie neu geboren! Die sonstigen sanitären Anlagen waren zwei freistehende Waschbecken (oben ist frisches Wasser drin, unten kommt das dreckige rein) und 4 Plumps-Klos. Aber alles top gepflegt und überhaupt nicht ekelig.

Im Beisein von Justin beladen wir die Motorräder, bezahlen umgerechnet 20 € pro Person für die Jurte bei unserer „ Herbergsmutter“, einer Kirgisin, die im Sommer (Ende Mai bis Anfang Oktober) mit der ganzen Familie hier oben lebt und im Winter in Bischkek (Hauptstadt von Kirgistan) als Englischlehrerin arbeitet.

In einem kleinen Dorf nehmen wir dann unser sog. zweites Bikerfrühstück ein: Einen Energy-Drink mit dem verheißungsvollen Namen „Nitro“ und ein Snickers. Zu uns gesellen sich zwei Jungs im Alter von circa sechs und acht Jahren. Plötzlich fangen sie für uns an zusingen und hören garnicht mehr auf. Als Dankeschön bekommen sie von uns Aufkleber und dürfen Probesitzen auf den Motorrädern.

Kurze Zeit später kommt unser Regenbekleidung das erste Mal kurz zum Einsatz. Der Himmel hatte sich verdunkelt und wir hatten die ersten Tropfen abbekommen. Da das ganze auch direkt vor uns war, entschieden wir die bisher ungenutzte Regenkleidung jetzt mal überzuwerfen.

Kurz vor unserem Tagesziel ereilt uns dann das unausweichlich Schicksal: Zusammen mit einem uralten Audi 100 werden wir von der Polizei von der Straße gefischt. Den Einheimischen, der direkt vor uns fuhr, ließen sie gleich wieder fahren. Aber Philip und Claudius waren natürlich fette Beute! 60 km/h waren erlaubt und Claudius war bei 78 und Philip bei 81, wie der Beamte säuberlich auf einen Zettel schrieb. Er sah eigentlich ganz nett aus, aber uns schwante natürlich, was jetzt unweigerlich passieren würde. Zunächst schrieb er die absurden Strafen auf den Zettel. Er wollte natürlich „keinen Bericht“ schreiben, sondern das über das Finanzielle regeln. Wir wollten das auch, also nach dem langen Fahrtag bloß schnell weg und ab ins Hostel. Außerdem war sein Vorwurf nun mal richtig, was uns auch gefügiger sein ließ, als sonst in solchen Situationen! Ein Wunder, dass wir nicht vorher erwischt wurden. Denn Geschwindigkeitsüberschreitungen von gut und gerne 100 % sind hier an der Tagesordnung. Geärgert haben wir uns im Nachhinein trotzdem! Claudius sagte zu dem Beamten: „ Nehmen Sie ihn mit (gemeint war Philip), er war ja schließlich schneller als ich!“ Ohne großes Verhandeln einigten wir uns auf 50 $ für beide zusammen. Das war natürlich viel zu viel und der „Lucky Punch“ der ganzen Woche für die Polizistentruppe. Philip holte von der gegenüberliegenden Straßenseite das Geld und zählte es demonstrativ vor dem Polizeiwagen ab. Der Polizist fand das zu offensichtlich und garkeine gute Idee. Er schritt sofort ein und machte Philip klar, dass das so öffentlich nicht geht und er bitte das Geld durch die geöffnete Fensterscheibe diskret im Wagen abzählen soll. So ein Schlawiner! Während Philip das Geld geholt hatte, machte Claudius noch einen Spaß und sagte ihm, dass die 50 $ schon in Ordnung wären, wir dann aber ein gemeinsames Foto mit ihm fordern würden! Großes Gelächter und Abwinken bei den Polizisten und seinen Kollegen – war ja klar, dass die das nicht machen würden! Aber etwas Zwiebelei wird ja wohl noch erlaubt sein!

Unser Hostel befand sich 30 km weiter am Ufer des „Issyk-Kul“-Sees, der nach dem „Titicacasee“ in Südamerika der zweitgrößte Hochgebirgssee der Welt ist. Die gesamte Anlage des Hostels ist total verkommen. Die Zimmer sind gerade noch in Ordnung, aber mit die schrottigste Unterkunft auf unserer ganzen Reise. Das ganze war mal zu Sowjetzeiten ein Erholungsanlage für Minenarbeiter gewesen… Aber Corona und der hier fast überall vorherrschende Instandhaltungsstau treten hier überdeutlich zu Tage.

An der Hauptstraße ergattern wir noch einen kleinen Imbiss. Ein junger, über und über tätowierter Russe hilft uns sehr engagiert beim entziffern der Speisekarte und der Bestellung. Seine blasse Freundin nimmt demonstrativ kaum Notiz von uns. Sie zelten am Ufer des Sees. Die beiden leben aber nicht in Russland, sondern in Bischkek. Hier betreiben Sie einen Massagesalon – wie anständig oder unanständig haben wir nicht gefragt. Außerdem eröffnet und bewirtschaftet er hier Konten und Kreditkarten für Landsleute, um die Finanzrestriktionen wegen des Ukraine-Krieges zu umgehen. Ja, so läuft das hier und vermutlich in der ganzen Region durch die wir bisher gefahren sind! Wo eine Wille, da ist auch ein… Landsmann!

Wir beschließen den Abend bei einer Zigarre und einem Spaziergang am Strand. Zu uns gesellen sich zwei Hunde, die offensichtlich auf dem „Hotel“-Gelände wild leben. Da wir hier noch Vorsaison haben ist auch sonst nix los, da freuen sich die beiden über Gesellschaft. Der Issyk-Kul liegt übrigens nur 200 km von der Grenze zu China entfernt! Auch wir vergessen immer wieder, wie weit wir mittlerweile von zu Hause weg sind!

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Diana Laengle

    Wow, amazing story and very well written. Thanks so much!

  2. Anton

    Euer Bericht über Kirgisistan ist hamma, mega, erst die Übernachtung in den nomadischen Jurten und dann am postsowjetischen Traumstrand – und alles gerahmt von extraterristisch wirkenden Bergen. Ich glaube, Ihr werdet sowas von denken alles nur geträumt zu haben, wenn Ihr erst wieder am heimischen Herd sitzt -:)

  3. Alexandra

    Ihr Lieben, nun seid ihr schon fast wieder zurück. Ich habe mir eben noch einmal NUR alle eure gesamten Fotos angesehen…so fantastische Bilder, Landschaften, Menschen und Eindrücke…alleine das „Bilderbuch“ lässt alle möglichen Emotionen aufleben. Danke, dass wir ein wenig miterleben durften! Bis in Kürze und ganz liebe Grüße

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